Ich lese "Herr Jensen steigt aus" von Jakob Hein
Meine liebe Tante Evi hat mir dieses Buch zum Geburtstag geschenkt, aber ich komme leider erst jetzt dazu es zu lesen. Ein bisschen kommt mit Herr Jensen so vor wie Raskolnikow aus Schuld und Sühne (habe ich im Sommer gelesen) - beide scheitern am Alltag/Alltäglichen und versuchen es mit etwas großem zu kompensieren... Ich melde mich dann wieder, wenn ich fertig bin.
erschienen am 30.10.2006
Ausgelesen
Das ging schnell. Der Stil von Jakob Hein hat es mir auch leicht gemacht. Er hat einen sehr flüssigen Duktus, der mich von einem Satz zum anderen fliegen ließ. Leider ist das Buch in meinen Augen manchmal inhaltlich etwas holprig. Will heißen, dass die Entwicklung des Herrn Jensen nicht immer gut nachzuvollziehen ist. Trotzdem ein spannendes Buch, das sich sehr gut lesen lässt.
Kurz zusammengefasst geht es darum, wie Herr Jensen arbeitslos wird und sich infolgedessen langsam von der Welt, wie sie im allgemeinen aufgefasst wird, lossagt. Das führt in der letzten Konsequenz dazu, dass er in seiner abgeschotteten, abgedunkelten und unkenntlich gemachten (kein Briefkasten, kein Klingelschild) Wohnung sitzt und nichts tut, aber der Meinung ist, dem wahren Leben - ohne Beeinflussung von außen - näher zu kommen.
Im Rahmen der Handlung hat Jakob Hein einige fast (aber eben auch nur fast) aphoristische Anmerkungen über die Absurdität unseres Daseins in der westlichen Konsum- und Kommunikationsgesellschaft eingebaut. Leider bleiben diese, wie ich finde, in Ansätzen stecken und werden nicht vertieft. Oder ihnen fehlt Witz. Mir sind sie auf jeden Fall nicht im Gedächtnis geblieben, obwohl ich beim Lesen dachte, dass sie memorierenswert wären.
Oben hatte ich den Herrn Jensen mit Raskolnikow verglichen - und ich denke immer noch, dass die beiden einiges miteinander gemein haben, nämlich das Scheitern am Konsens. Während Raskolnikow jedoch versucht sich mit einer (moralischen) Untat (dem Mord an der Pfandleiherin) frei zu machen ist das Rezept des Herrn Jensen die Untätigkeit. So stellen die beiden jeweils die aktive und passive Manifestation des selben Sujets dar. Was wie ich finde auch das Problem des Buches ist. Der Herr Jensen macht halt nichts mehr, und achtet darauf, dass seine Umgebung nichts mehr mit ihm zu tun hat, so dass das Buch zum Ende hin immer langweiliger wird, wohingegen Raskolnikow nach seiner Untat weiterhin Kontakt sucht und ein Interesse am "wahren Leben" unter Menschen hat, was dann immer wieder zu Spannungen führt, die lesenswert sind.
Was bleibt also? Ein lesenswertes Buch, das aber nicht GROSS ist. Aber sicher gute Unterhaltung.